Die Unfähigkeit zu trauern

Letzter Teil der Serie Niedersachsens Gründung

lk Nienwalde. Der langjährige Stern-Redakteur Nicolaus Neumann aus Nienwalde erinnert an ein düsteres Kapitel aus der „Gründungszeit Niedersachsens“. Mit seinem bemerkenswerten Beitrag beenden wir unsere Serie.

Es gibt viele schöne Dinge, an die man sich erinnert, wenn man an den Start des Landes Niedersachsen denkt. Nicht immer kommt dabei eine besonnte Vergangenheit ans Tageslicht. Manches ist erschreckend düster und wird von vielen Niedersachsen gerne vergessen – etwa die Gründungsgeschichte der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen. Der ehemalige Leiter der Gedenkstätte, Jens Christian Wagner, ein renommierter KZ-Gedenkstätten-Spezialist, hat nichts vergessen, sondern alles sorgfältig archiviert.

Der Chef der britischen Militärregierung, die damals in Hannover das Sagen hatte, General G.W. Britten, hatte den Oberpräsidenten der Provinz Hannover, Hinrich Wilhelm Kopf – ab 1946 erster Ministerpräsident des neuen Bundeslandes – beauftragt, eine würdige Erinnerungsstätte des KZ Bergen-Belsen errichten zu lassen. Dem war die Angelegenheit offensichtlich nicht so wichtig. Er ließ sich Zeit. Den britischen General störte der lasche Umgang mit den schrecklichen Ereignissen des gerade untergegangenen 1000-jährigen Reiches. Er bat Kopf zu einem Dienstgespräch und forderte den Oberpräsidenten auf, konkrete Pläne zur Gestaltung einer Gedenkstätte Bergen-Belsen innerhalb eines Vierteljahres vorzulegen.

Ohne es zu wissen, hatte General Britten mit Hinrich Wilhelm Kopf einen veritablen Bock zum Gärtner gemacht. Kopf stand zu dem Zeitpunkt nämlich ziemlich weit oben auf einer polnischen Liste gesuchter Kriegs- und NS-Verbrecher. Kopf war in Polen von 1939 bis 1943 im Auftrag der NS-Regierung als Vermögensverwalter für die „Haupttreuhandstelle Ost“ tätig. Amtstitel: „Treuhänder konfiszierter polnischer und jüdischer Güter“. Er war als Enteignungskommissar vor allem im Gebiert Lublinec auf Beutezug. Dass ein derart hoher NS-Funktionär sich nun um die Gestaltung einer Gedenkstätte für ein Konzentrationslager kümmern sollte, hatte vor allem polnische Opferverbände zu scharfen Protesten bei der britischen Kontrollkommission veranlasst. Den Enteignungskommissar Kopf haben solche Proteste allerdings kalt gelassen. Im Gegenteil. Als die Briten ihn immer wieder mahnten, endlich den Plan für die Gedenkstätte vorzulegen, beauftragte er einen Gesinnungsgenossen mit dem Entwurf des Mahnmals, den hannoverschen Landschaftsarchitekten Karl Wilhelm Hübotter. Der Gartenfreak Hübotter hatte noch wenige Jahre zuvor als verantwortlicher Gartenarchitekt Heinrich Himmlers „Thingplatz“ bei Verden entworfen und realisiert. Die von Himmler geforderte antichristliche Andachtsstätte finanzierte die „Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe“.

Das war dann doch zu viel. Kopfs Kandidat scheiterte. Die schockierten Opferverbände verweigerten Hübotter mit Erfolg den Zutritt zum Gedenkstättengelände. Sie überzeugten die britische Verwaltung, dass „nur überzeugte Gegner des Naziregimes berufen seien, die Schande von Belsen der Nachwelt durch ein Mahnmal zu übermitteln“. Dass sein Favorit derart aus dem Geschäft vertrieben wurde, ärgerte Kopf – mittlerweile SPD-Genosse – auch noch, als er 1946 Ministerpräsident von Niedersachsen wurde. Sein Büro erklärte auf Nachfrage, dass für ihn der Rausschmiss Hübotters nicht nachvollziehbar sei, „da die eingereichten Entwürfe in jeder Hinsicht künstlerisch reif und durchdacht“ seien.

Nicolaus Neumann

Avatar-Foto

Redaktion Kiebitz 05841/127 422 vogt@ejz.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert