Eine Geschichtsstunde im Nazi-Lager erlebt

Heute ein Biotop: Schüler befreiten den WiFo-Hellberg-Block von Birken und Kiefern

bv Hitzacker. Vormittags im dichten Wald, in der Nähe der Elbe, sind rund 15 Schüler und eine Schülerin am Hellberg in der WiFo beschäftigt – in den Überresten eines gigantischen Treibstofflagers der Nazis sägen sie junge Birken, Robinien und Kiefern ab. Sie sind von Hitzacker mit Fahrrädern hergefahren, begleitet von ihrem Lehrer Felix Hörath. An den umzäunten Überresten des einst massiven Betonblocks warten Dr. Uwe Barge, Leiter des Forstamtes Göhrde, und Förster Hans-Jürgen Kelm, Beauftragter für Waldökologie. „Wir erleben hier einen Einsatz von Schülern, die ein ganz besonderes Biotop freilegen – ein Sonderbiotop für besondere wärmeliebende Eidechsen- und Schmetterlingsarten“, erläutert Barge. „Der Wald erobert sich dieses Gebiet dynamisch zurück. Wir müssen, um den wärmeliebenden Arten zu helfen, als Förster paradoxerweise den Wald etwas zurücknehmen.“

Hans-Jürgen Kelm ergänzt: „Die WiFo-Reste sind Lebensraum unter anderem von Zaun- und Waldeidechsen und verschiedenen Flechtenarten. Die brauchen Sonne. Alle fünf bis sieben Jahre muss der sich von selbst einfindende Wald zurückgedrängt werden, damit das Gelände als Lebensraum und Kulturdenkmal gleichermaßen erhalten wird.“ Einige Weidenbüsche bleiben für Schmetterlinge zurück. „Das ist eigentlich eine Geschichtsstunde, mit Biologie verbunden“, merkt Lehrer Hörath an, der mit der 9c der Hitzackeraner Bernhard-Varenius-Schule vor Ort ist. „Wir nehmen gerade das Thema Nationalsozialismus durch. Eine Schulstunde vor Ort ist viel beeindruckender, als nur Arbeitsblätter zu bearbeiten. Geschichte zum Anfassen.“ Cora Andres kann das bestätigen, die 17-Jährige ist zum ersten Mal an der WiFo. Für die Geschichtslektion ist Klaus Lehmann zuständig. Der ehemalige vieljährige Leiter des Heimatmuseums in Hitzacker berichtet von den Zwangsarbeitern, die er noch persönlich kennengelernt hat – die in der WiFo arbeiten mussten, von Sonnenauf- bis -untergang, jeden Tag, morgens gab es einen Kanten Brot und abends dünne Suppe. Der Holländer Johnny zum Beispiel, der einer Deutschen in Hitzacker dereinst das Leben rettete. Hitzacker erlebte 1936 einen ungeahnten Aufschwung, zahlreiche Arbeiter zogen hin und legten die WiFo an – als Vorbereitung für den Angriffskrieg, ein streng geheimes Projekt. 1942 kam der Block am Hellberg dazu, mit fünf zigarrenförmigen Behältern, neun Meter hoch, 54 Meter lang. „Benzinvorräte gab es damals schon nicht mehr, trotzdem wurde das Lager unter unmenschlichsten Bedingungen erweitert.“

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